Dokumentation des Redebeitrages auf der Demonstration gegen Tierversuche in Bremen

Einleitung

  • Der folgende Beitrag hat eine bestimmte Perspektive auf das Thema Tierversuche: Wie viele Aktivist*innen, die sich im Tierbefreiungsblock zusammengefunden haben, wollen wir heute nicht nur gegen Tierversuche, sondern auch gegen andere Formen der Tierausbeutung auf die Straße gehen
  • Wir plädieren dabei auch dafür sich aktiv für die Befreiung der Tiere einzusetzen. Dabei geht es jedoch nicht nur um die Käfige der Versuchsanstalten, sondern auch darum, nichtmenschliche Tiere aus der gesellschaftlichen Position der Minderwertigkeit, in der sie gefangen gehalten werden, zu befreien.

 

Tierversuche

 

  • Wissenschaft und Forschung sind keineswegs auf Versuche an Tieren angewiesen. Weil es keine Notwendigkeit gibt, stellt sich die Frage, ob es gerechtfertigt ist, Tiere zu Versuchszwecken zu nutzen und zu töten.
  • Diese Frage kann nicht nur mit Blick auf die Interessen von Menschen beantwortet werden, entscheidend sind auch die Lebensbedingungen, die Bedürfnisse und die Interessen der betroffenen Tiere.
  • Für Tierversuche werden Jahr für Jahr, Tag für Tag unzählige Tiere getötet. Was bei Tierversuchen passiert, lässt sich nur mit Worten beschreiben, die deutlich machen, dass Tiere in Versuchen nur als Ressourcen und Objekte betrachtet werden. Sie werden gezüchtet und eingesperrt, sie werden benutzt und verbraucht und sie werden letzten Endes getötet.
  • Es geht in den Tierversuchen und in der Zucht der sogenannten Versuchstiere selbstverständlich nicht um die Bedürfnisse und Interessen der betroffenen Individuen. Sie lassen sich nicht freiwillig Schmerzen zufügen und werden auch nicht freiwillig eingesperrt.
  • Was zählt sind einzig die Interessen von Menschen und der Zweck, den sie für die betreffenden Individuen vorsehen: eben nur dafür zu leben, damit ihnen unter Bedingungen der völligen Beherrschung vermeintlich wissenschaftliche Erkenntnisse abgepresst werden können.

 

 

Weitere Tierausbeutungsformen

 

  • Doch all dies ist nicht Ausdruck eines „wahnsinnigen Auswuchses“ unserer Gesellschaft, sondern Tierversuche sind Sinnbild einer Gesellschaft, die dazu führt, dass Millionen und Milliarden Tieren auf der Welt keine andere Realität erspart bleibt, als für Menschen zu leiden und zu sterben.
  • Für Fleisch werden Millionen von Individuen, wie zum Beispiel Kühe, Schweine, Hühner, Lämmer oder Kaninchen am Fließband getötet, zerstückelt und zerlegt. Ihre Körper landen schließlich auf dem Teller – sicherlich auch bei dem ein oder anderen, der heute mit uns protestiert. Firmen und Bio-Label wie Neuland-Fleisch versuchen diese Tatsache zu verschleiern, indem sie den Mythos der glücklichen artgerecht gehaltenen Kuh auf der Weide aufrechterhalten und somit die Tötung von Lebewesen beschönigen und legitimieren. Jedoch können Bedingungen, in denen Tiere genutzt und gehalten werden, nicht als artgerecht bezeichnet werden, denn artgerecht ist nur die Freiheit.
  • Anders als bei Fleisch musste für das Glas Milch oder das Frühstücksei nicht direkt ein nicht-menschliches Individuum getötet werden. Aber auch bei der Milch- und Eierproduktion handelt es sich um gewalttätige Verhältnisse, die auch vor der Ermordung von Individuen keinen Halt macht, wenn sich das Ganze nicht mehr rentiert, zum Beispiel, wenn Milchkühe nicht mehr genügend Milch geben oder Hühner nicht die erforderlichen Mengen an Eiern produzieren.
  • Die Vorstellung, durch Bio-Siegel und Verschärfung von Tierschutzstandards die Bedingungen für Tiere angenehmer oder gar lebenswert zu gestalten, ist indes eine Illusion. Auch für Bio-Milch, werden Kühe geschwängert, ihre Kälber ihnen kurz nach der Geburt entrissen und die Milch mehrmals täglich maschinell entnommen. Auch Hühner in Freilandhaltung leben nur wenige Wochen, während ihre männlichen Artgenossen unmittelbar nach der Geburt getötet, zermust oder weggeworfen werden. Denn die gerade geschlüpften männlichen Küken, die etwa 50% der Neugeborenen in der Legehennenzucht ausmachen, erfüllen keinen weiteren Zweck für die Industrie, unabhängig davon, ob es sich um Käfighaltung, Bodenhaltung oder Freilandhaltung handelt.
  • Es geht aber nicht nur um Nahrungsmittel, sondern um jegliche Verhältnisse in denen Tiere genutzt werden: Für Kleidung wie Pelz, Leder, Seide aber auch Wolle leiden und sterben Tiere oder in Zoos und Zirkussen werden Tiere gefangen gehalten, ausgebeutet und getötet, ohne dass ihre Interessen eine Rolle spielten.
  • Nahezu überall, wo Menschen Tieren begegnen, geht es um den Zweck den Tiere zu erfüllen haben, mit der Konsequenz, dass all diese Tiere kontrolliert, zugerichtet, beherrscht, benutzt, ausgetauscht und getötet werden, wann und wie immer es dem Menschen beliebt. Hiervon zeugen nicht zuletzt sprachliche Kategorien wie „Haustiere“, „Nutztiere“, „Schlachtvieh“, „Jagdwild“ oder eben „Versuchstiere“.
  • Tiere leiden unter einschränkenden Lebensbedingungen der Gefangenschaft, obgleich sie im Versuchslabor, im Zirkus oder in der Massentierhaltung ihr Leben verbringen müssen. Die Tötung eines Lebenswesens ist immer verachtend, brutal und hässlich, egal ob sie vom Experimentator, vom Jäger oder vom Schlachter durchgeführt wird.
  • Der einzige Unterschied von Tierversuchen im Gegensatz zu den anderen genannten Ausbeutungsformen ist, dass es sich um vermeintlich wissenschaftliche Experimente handelt, für die die Tiere leben, sterben und leiden müssen, und nicht Leder, Fleisch, Käse oder den Zirkusbesuch.

 

Tierschutz und Tierbefreiung

 

  • Viele Leute beteiligen sich heute an der Demonstration vor allem weil sie sich gegen Tierquälerei aussprechen, weil sie finden, dass Tierversuche besonders grausam sind.
  • Zu fragen ist aber: Warum sind Tierversuche in Anbetracht der tagtäglichen Gewalt die Tieren in allen Bereichen der Gesellschaft angetan wird „besonders grausam“? Ist das Problem tatsächlich die Tierquälerei? Also die „unnötige“ oder „unverhältnismäßige Nutzung“?
  • Wir sagen Nein: Das Problem ist nicht die Nutzung von Tieren über das von Menschen bestimmte Maß der Zweckmäßigkeit. Das Problem ist die Nutzung von Tieren an sich.
  • Daher gilt es zu verdeutlichen: Wer sich gegen Tierversuche richtet, weil Tieren Gewalt angetan wird, weil Tiere gefangen gehalten und getötet werden, muss sich notwendigerweise auch gegen alle anderen Formen der Tiernutzung aussprechen.
  • Wie Tierversuchsgegner immer wieder zeigen: Tierversuche sind nicht nur hinsichtlich der Behandlung von Tieren Gegenstand von Diskussionen, sondern auch weil Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Menschen fragwürdig ist.
  • Das mag stimmen. Aber: Auch wenn Tierversuche auf den Menschen übertragbar wären, würde das Tierversuche noch lange nicht legitimieren. Das Problem, die Missachtung von Bedürfnissen und Interessen von Tieren bleibt.
  • Es ist daher fragwürdig, ob es Sinn macht, zu aller erst das Argument der mangelnden Übertragbarkeit zu bemühen, wenn doch ein anderes Argument bedeutender ist. Das entscheidende Argument für die Beendigung von Tierversuchen ist und bleibt die mit der Nutzung verbundene Gewalt, Gefangenhaltung und Tötung nichtmenschlicher Individuen.
  • Nun stellt sich vielleicht bei dem einen oder der anderen die Frage: „Führt nicht auch das Engagement der Tierschützer*innen zu einer Verbesserung der Situation von Tieren?“ „Sind nicht die Bestrebungen des Deutschen Tierschutzbundes und anderer Tierschutzorganisationen und -vereine lobenswert?“
  • Wir sagen, nein, nicht wenn es darum geht, Tiere überhaupt gefangen zu halten und zu töten. Schließlich kann es aus Respekt und Solidarität mit den Tieren nicht darum gehen, ihre Gefangenhaltung und Tötung erträglicher machen, sondern diese zu beenden.
  • Personen wie Wolfgang Apel, der ebenfalls heute hier eine Rede gehalten hat und der sowohl Vorstandsvorsitzender bei Neuland-Fleisch als auch Ehrenpräsident des Deutschen Tierschutzbundes ist, symbolisieren die Widersprüchlichkeit des Tierschutzes, der vorgibt, sich um das Wohl der Tiere zu sorgen und gleichzeitig aktiv die Ausbeutung von Tieren erhält und vorantreibt.
  • Dass wir an dieser Stelle den Tierschutz offen kritisieren, hat nicht den Grund, dass wir uns profilieren wollen, in dem wir uns als besonders konsequent oder radikal darstellen.
  • Was wir als wichtig erachten, ist, unsere Beweggründe, zu verdeutlichen, nämlich sich für die Abschaffung und nicht die Reform von Tiernutzungsformen einzusetzen. Wir appellieren an alle, sich diese Überlegungen zu vergegenwärtigen.

 

  • Denn selbstverständlich liegt es nicht im Wesen von Tieren für menschliche Interessen da zu sein. Dass es so etwas wie Tierausbeutung überhaupt gibt, liegt im Bewusstsein und im Handeln von Menschen und in den gesellschaftlichen Strukturen, die dies begünstigen und fördern, begründet. Tiere sind Gefangene in einem Herrschaftsverhältnis, in dem der Mensch jeden Schritt und Tritt, jede Funktion eines jeden Individuums vollkommen bestimmt.
  • Es geht daher nicht nur um die Befreiung von Tieren aus den Versuchslaboren, sondern um die Befreiung der Tiere aus einem Herrschaftsverhältnis.
  • Genau hierfür steht der Begriff Tierbefreiung.
  • Wir fordern Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse zu beenden, in denen Tiere als Ware, als bloße Ressource gesehen werden, in dem Menschen für Tiere entscheiden, welche Bedürfnisse erfüllt werden und welchen Zweck sie in unserer Gesellschaft haben.
  • Tiere müssen als das gesehen werden, was sie sind: fühlende Individuen mit Interessen und Bedürfnissen, die sich nicht freiwillig in Käfige der Versuchslabore oder der Pelzfarmen sperren lassen, die nicht freiwillig Versuche über sich ergehen lassen und auch nicht freiwillig durch brennende Reifen im Zirkus springen und die sich erst recht nicht freiwillig auf die Schlachtbank führen lassen.
  • Deshalb lehnen wir jede Form der Haltung und Nutzung von Tieren durch den Menschen ab.
  • Denn auch diese ist immer mit Zwang und Gewalt verbunden, auch wenn Begriffe wie artgerechte Tierhaltung, Freilandhaltung, Tierschutz oder Bio/Öko-Fleisch versuchen, anderes zu suggerieren.

 

Aktiv werden

 

  • Selbstverständlich rufen wir auch dazu auf, diesen Überlegungen Konsequenzen folgen zu lassen.
  • Wichtig ist es aber nicht nur, auf Kosmetika oder Hygieneartikel zu verzichten, die an Tieren getestet wurden, sondern auch auf tierliche Lebensmittel, Bekleidung und ähnliches. Wer nicht mehr den Auftrag für die mit der Tiernutzung verbundene Gewalt, Gefangenhaltung und Tötung geben möchte, muss notwendigerweise persönliche Konsequenzen ziehen, beispielsweise vegan leben. Wir haben die Möglichkeit auf Produkte der Tierausbeutung zu verzichten. Also machen wir das.
  • Es ist unverzichtbar Menschen zu sensibilisieren und Aufklärung über die tatsächlichen Lebensbedingungen von Tieren zu leisten. Wer aber tatsächlich eine Veränderung von Vorstellungen, Handlungsbegründungen und Handeln von Menschen erreichen will, dem sei gesagt: Wir können uns nicht auf die Teilnahme bei Großdemos beschränken, sondern müssen uns organisieren in Gruppen, Organisationen und Initiativen, um kontinuierlich unsere Perspektiven zu verdeutlichen.
  • Die Vorstellung, dass den Menschen nur die Wahrheit beigebracht werden muss und sie dann auch ihr Handeln ändern ist jedoch naiv. Machen wir uns nichts vor: Ein Großteil der Menschen, weiß sehr wohl um die Lebensbedingungen von Tieren in unserer Gesellschaft. Nicht weil sie es nicht anders wissen, sondern weil sie von der Tierausbeutung profitieren, sind sie nicht bereit die Interessen und Bedürfnisse von Tieren zu berücksichtigen. Daher ist es notwendig Proteste in Form von Demonstrationen oder zivilen Ungehorsam zu organisieren, um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen.
  • Wir können zum Beispiel Unternehmen und Institutionen dazu bewegen, auf die Nutzung von Tieren zu verzichten. Es gilt unseren entschiedenen Protest vor Tierversuchslaboren, wissenschaftlichen Einrichtungen aber auch bei Kongressen von Lobbyorganisationen zu verdeutlichen. Eine Möglichkeit dies zu tun ist auch die Beteiligung an Kampagnen. Deshalb haben wir gestern am Bremer Flughafen im Rahmen einer internationalen Kampagne gegen den Versuchstierhandel von Air France/KLM demonstriert. Durch das Angehen von konkreten Akteuren, auf die die Tierversuchsindustrie angewiesen ist, ist es möglich die Industrie nachhaltig zu schwächen. Zahlreiche Airlines haben bereits aufgrund von Protesten den Transport von Versuchstieren beendet. Air France/KLM als eine der letzten großen Airlines, die noch Versuchstiere transportieren, kommt damit ein hoher Stellenwert für den reibungslosen Ablauf dieses Geschäfts mit dem Tod zu.
  • Die globale Tierbefreiungsbewegung setzt seit Jahren neben der Aufklärungsarbeit darauf, die an Tierversuchen beteiligten Akteure und Institutionen direkt unter Druck zu setzen. Auch die von Tierbefreiungsaktivist*innen immer wieder durchgeführten direkten Aktionen sind ein legitimes und effektives Mittel, direkt in den Gewaltapparat der Tierversuchsindustrie einzugreifen. So werden Sabotageaktionen gegen Tierversuchslabore oder Pharmaunternehmen durchgeführt und es werden immer wieder Tiere aus Laboren oder Zuchten befreit und somit vor dem Tod gerettet
  • Wenn wir uns fragen, warum Forscher*innen, Unternehmen und Fluggesellschaften sich weiterhin an der Ausbeutung von Tieren beteiligen, dann ist es notwendig darauf hinzuweisen, dass hier nicht eine unterstellte Gefühlskälte, eine wie auch immer geartete Perversion oder vermeintlich unmoralische Unternehmenspolitiken das Problem sind.
  • Das Problem ist, dass es Allgemeingut ist, davon auszugehen, dass Tiere für uns da sind. D.h. es sind gesellschaftliche Vorstellungen und Handlungen, die dazu führen, dass Menschen es als ihr gutes Recht wahrnehmen, Tiere zu nutzen. Das ist in den Versuchsanstalten nicht anders. Das heißt wir müssen auch um gesellschaftliche Veränderungen streiten.
  • Es geht zum einen um eine Veränderung von Denkformen, d.h. wie wir Tiere betrachten. Aber es geht auch darum, eine Wirtschaftsweise zu kritisieren, in der die Bedürfnisse nicht nur von Tieren hinter vermeintliche ökonomische Sachzwänge zurücktreten. Wer Tierversuche abschaffen will, kommt nicht umhin auch andere gesellschaftliche Verhältnisse in den Blick zu nehmen und für eine Veränderung dieser zu streiten!

 

Abschluss:

  • Zu guter Letzt möchten wir nochmals verdeutlichen: Es geht nicht um die Kritik an einzelnen Missstände, nicht um die Reform unverhältnismäßiger Tiernutzung und nicht um moralische Appelle.
  • Wir richten uns gegen Tierversuche nicht weil sie eine besonders schlimme Form der Tierausbeutung ist, sondern weil Tierversuche die systematische Gewalt, die Tieren in unserer Gesellschaft widerfährt, verdeutlichen, weil sie ein Sinnbild einer Gesellschaft sind, die auf der Nutzung, Beherrschung und Tötung von Tieren beruht.
  • Wir rufen dazu auf Tiere zu befreien, aus einer gesellschaftlichen Postion der Minderwertigkeit und Verfügbarkeit in der sie gefangen gehalten werden.

 

 

 


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