Kritik am Konzept der „Pelzfrei-Demos“ – Debattenbeitrag einer Aktivistin von Tierbefreiung Hamburg

Eine Aktivistin von Tierbefreiung Hamburg hat in der Ausgabe 79 des Magazins Tierbefreiung eine Kritik an der in der Tierrechtsbewegung beliebten Aktionsform der „Pelzfrei-Demos“ formuliert, den wir hier dokumentieren. Der Text findet sich unter:

http://www.tierbefreier.de/tierbefreiung/79/pelzfrei_demos.html

Ein zeitgemäßes Konzept?

Kritik am Konzept der Pelzfrei-Demos

In diesem Beitrag möchte ich eine Kritik an einer in der Tierrechtsbewegung in Deutschland üblichen Form der Großdemos, den „x-Stadt Pelzfrei“-Demos, formulieren. Ich schreibe dabei als eine Person, die mehrmals überregionale Demos mit dem Fokus auf Pelz sowie auch Alternativen dazu organisiert hat. Die hier formulierte Kritik soll keinesfalls als eine generelle Ablehnung des diskutierten Demoformats oder der sie organisierenden Gruppen, sondern als konstruktive, solidarische Kritik verstanden werden. Vielmehr möchte ich mit dem Text eine Diskussion über Sinn und Zweck dieser Demos beziehungsweise auch Großdemonstrationen im Allgemeinen anregen.

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Seit einigen Jahren schon gibt es nun die Pelzfrei-Demos, vornehmlich im west- beziehungsweise süddeutschen Raum. Die erste dieser Demos fand in den 2000er Jahren in Köln statt. Mittlerweile gibt es sie in verschiedenen Städten, so zum Beispiel in Köln, Frankfurt, München, Wiesbaden und so weiter. Einige von ihnen finden regelmäßig jedes Jahr statt und gehören mit ihrem überregionalen Event-Charakter zu den größten Tierrechtsdemos bundesweit, so zum Beispiel in Köln oder Frankfurt, wo zuletzt 800 AktivistInnen demonstrierten.1

Die Demonstrationen bestehen meist aus einer Art Marktplatz mit Info- und Essensständen, auf dem sich die AktivistInnen sammeln. Nach einer Auftaktkundgebung zieht ein Demozug durch die jeweilige Innenstadt und protestiert mit Flugblättern, Sprechchören und anderen Mitteln gegen Pelz und andere Formen der Tierausbeutung. Es gibt Zwischenstopps vor einzelnen Geschäften, zum Beispiel Pelzläden oder McDonald’s.
Bis etwa 2010 stand bei den Pelzfrei-Demos oft der Protest gegen ein bestimmtes Unternehmen im Vordergrund, welches jeweils aktuelles Kampagnenziel der Offensive gegen die Pelzindustrie (OGPI) war, zum Beispiel Peek&Cloppenburg oder Escada). All diese Kampagnen wurden erfolgreich beendet, wozu sicherlich auch die Großdemos beigetragen haben, bei denen Hunderte Menschen vor den entsprechenden Geschäften ihren Unmut über die Geschäftspolitik des jeweiligen Unternehmens äußerten. Seit einigen Jahren gibt es nun jedoch kein größeres Kampagnenziel mehr, da fast alle Warenhäuser und größeren Modeketten pelzfrei geworden sind.

Die Demonstrationen werden von Tierrechtsgruppen organisiert und verstehen sich als Tierrechtsdemos, das heißt protestiert wird gegen jegliche Formen von Tierausbeutung (zum Beispiel „Frankfurt Pelzfrei – Demonstration für Tierrechte“). Der inhaltliche Fokus liegt jedoch auf dem Thema Pelz, wie zum Beispiel durch Aufrufe, durch den Titel der Demo (zum Beispiel „Köln Pelzfrei“) sowie oftmals auch durch das Erscheinungsbild der Demo (Banner, Schilder und so weiter) vermittelt wird. Auch in der medialen Berichterstattung zu den Demos dominiert das Thema Pelz2. Eine Differenzierung zwischen TierschützerInnen und TierrechtlerInnen wird von diesen fast nie vorgenommen, oftmals werden die AktivistInnen auch lediglich als „Pelzgegner“ bezeichnet.

Diskussion des Konzeptes

Der „Pelz-Anteil“ ist natürlich auch je nach Demo verschieden, es finden sich jedoch auch immer wieder teilweise von TierrechtlerInnen selbst transportierte Tierschutzinhalte, so zum Beispiel die Figur der „herzlosen, pelztragenden Frau“. Unter anderem aus diesem Grund und um sich gegen ähnliche Inhalte abzugrenzen sowie um eine allgemeine Kritik an Tierausbeutung in den Vordergrund zu rücken, wurde von AktivistInnen auf der Köln Pelzfrei 2011 ein Tierbefreiungsblock organisiert.

Die AktivistInnen schrieben in ihrem Aufruf3 unter anderem:
„Beim Thema ‚Pelz‘ (wenngleich nicht nur dort) unterscheidet sich die Argumentation vieler Aktivist_innen aus der Tierrechtsbewegung oft nicht von einer tierschützerischen. Es handelt sich keinesfalls um eine unbedeutende Nuance, wenn ‚Pelz‘ nicht deshalb abgelehnt wird, weil es sich dabei um eine (weitere) Form der Nutzung von Tieren handelt, sondern – wie es von Tierschützer_innen gemacht wird – weil ‚Pelz‘ besonderes grausam sei, unzeitgemäß / rückständig sei (‚Pelz ist Steinzeit‘4), unverhältnismäßig wäre (‚Die Tiere werden nur für ihren Pelz getötet‘), ‚peinlich‘ sei, etc.: wenn also die ‚Quälerei‘ und nicht die Nutzung von Tieren kritisiert wird. Vielmehr handelt es sich um einen gravierenden Unterschied. In diesem Zusammenhang ist auch das (zweifelsfrei gutgemeinte) Motto der Veranstaltung ‚Köln Pelzfrei‘ durchaus kritisch zu hinterfragen.“

Es wird zwar immer wieder von den OrganisatorInnen der Pelzfrei-Demos betont, dass auf den Demos auch andere Formen von Gewalt an Tieren kritisiert würden, doch auf der anderen Seite lesen sich zum Beispiel die Aufrufe zum Teil so, als würde Pelz nicht etwa aus strategischen Gründen ausgewählt, sondern weil es sich hier um eine besondere Form der Tierausbeutung handele. So richteten sich die Proteste laut Aufruf für die diesjährige Frankfurt Pelzfrei gegen „die dekadente sowie ethiklose Pelzindustrie“, wodurch suggeriert werden könnte, dass andere tierausbeutende Industrien weniger „ethiklos“ seien.5 Auch der Vorwurf der „Dekadenz“ ist aus Tierrechtssicht nicht wirklich verständlich, schließlich ist es völlig unerheblich, aus welchen Gründen Tiere eingesperrt und getötet werden, da dies per se illegitim ist.

In den letzten Jahren gab es verstärkt Debatten um Inhalte und Profil in der Tierrechtsbewegung, wozu auch die Forderung nach einer konsequenteren Abgrenzung vom Tierschutz zählte. Mit der Pelz-Thematik als Aufhänger für Großdemonstrationen wird jedoch ein Aspekt herausgegriffen, der in der Wahrnehmung der Medien und der Bevölkerung stark vom Tierschutz besetzt ist. Beim Pelzhandel und der Pelzproduktion hat selbst der Deutsche Tierschutzbund eine abolitionistische, das heißt eine auf Abschaffung zielende Position, und auch die Mehrheit der Bevölkerung spricht sich gegen die Haltung von Tieren auf Pelzfarmen aus beziehungsweise lehnt das Tragen von Pelz ab.6 Im Vergleich zu anderen Tierausbeutungsformen handelt es sich bei der Pelzindustrie außerdem um eine kleine Branche, und die Opferzahlen liegen weit unter denen der Fleischindustrie. Die Frage ist nun, warum der Fokus auf Pelz weiterhin gewählt wird, wenn es sich bei den Demonstrationen um Tierrechtsdemos handelt. Mein Eindruck ist, dass diese Strategie praktiziert wird, weil sich das Konzept hinsichtlich der Mobilisierung vieler AktivistInnen (auch aus dem Tierschutzbereich) als erfolgreich herausgestellt hat, beziehungsweise weil es sich etabliert hat und teilweise unreflektiert nachgeahmt wird. Die These an dieser Stelle ist, dass in der Regel keine tiefergehenden Überlegungen angestellt werden, was eigentlich mit den Demonstrationen erreicht werden soll beziehungsweise auf welche Weise das Ziel am besten erreicht werden kann. Diese Fragen schließen auch an den generellen Sinn von Großdemonstrationen in der Tierrechtsbewegung an, unabhängig vom thematischen Fokus: Sollen diese Demos die allgemeine Bevölkerung „aufklären“? Soll Protest an tierausbeutende Unternehmen gerichtet werden? Wie wollen wir auftreten, und welche Inhalte wollen wir vermitteln?7

Beurteilung des Konzeptes

Meiner Meinung nach sollte die Bewegung in Zukunft auf den „Pelzfrei“-Fokus bei Großdemos in Innenstädten verzichten. Gerade auch um ihr Profil als eine Bewegung zu schärfen, die jegliche Nutzung von Tieren ablehnt. Insbesondere hinsichtlich der zunehmenden gesellschaftlichen und medialen Debatten um (die negativen Folgen des) Fleischkonsum(s) sollte sich die Bewegung einschalten und ihre eigenen Positionen deutlich machen. Wir sollten hervorheben, dass es uns „ums große Ganze“ geht, und nicht mehr einen vergleichsweise kleinen Tierausbeutungsaspekt in den Vordergrund rücken. Demonstrationen „für Tierbefreiung“ oder „gegen Tierausbeutung“, die diese Position an den Stellen deutlich machen, die vor allem wahrgenommen werden (wie in Pressemitteilungen, Aufrufen, Titeln der Demos und Fronttransparenten und so weiter), sollten das „Pelzfrei“-Konzept“ ablösen.

Warum sollten wir als Bewegung der Öffentlichkeit vermitteln, dass Pelz in erster Linie das größte Übel sei, beziehungsweise dass die Städte zunächst „pelzfrei“ und dann erst „tierausbeutungsfrei“ werden sollten? Die „Öffentlichkeit“ ist mittlerweile reif für eine klare Position gegen jegliche Tierausbeutung und für Veganismus, sie muss nicht erst über den Türöffner Pelz „abgeholt“ werden. Darüber hinaus erschließt sich mir nicht, wie einzelne Städte nur über Großdemos gegen Pelz „pelzfrei“ werden sollten. Unternehmen werden in der Regel dazu bewogen, auf den Handel mit Pelzen zu verzichten, indem sie Ziel einer Kampagne und von kontinuierlichen Protesten werden. Das ist bei den Großdemos aber meist nicht der Fall. Sollte es in einer Stadt eine Kampagne gegen ein pelzverkaufendes Geschäft geben, können Proteste gegen dieses Geschäft ja auch in eine allgemeine Tierbefreiungsdemo integriert und zum Beispiel vor dem Geschäft ein Zwischenstopp eingelegt werden.

Auch würde ein klarer Fokus auf Tierrechte / Tierbefreiung dafür sorgen, dass zumindest einige in den letzten Jahren immer wieder auftretenden merkwürdigen Positionen (wie zum Beispiel Plakate mit der Aufschrift „Pelzschlampe“) auf solchen Demos nicht so leicht anschlussfähig sind beziehungsweise AktivistInnen aus dem Tierschutzmilieu sich von den Demos nicht in gleicher Weise angesprochen fühlen und dort zum Beispiel ihre Inhalte verbreiten. Natürlich sollen TierschutzaktivistInnen für Tierrechte interessiert werden, ob aber solche Demos der richtige Ort sind, bleibt fraglich. Sie dürfen gerne auf Tierrechtsdemos kommen, solange dort eben keine Tierschutzinhalte (und das geht beim Thema Pelz eben recht schnell) nach außen kommuniziert werden.
Mir ist dabei wichtig zu betonen, dass ich mich nicht gegen Proteste oder Demonstrationen gegen Pelz oder zu bestimmten Themen generell ausspreche. In Form zum Beispiel einer Kampagne gegen eine Pelzfarm oder mehr noch gegen den Pelzhandel sind diese äußerst sinnvoll. So konnte zum Beispiel durch eine Vielzahl von Aktionen im Rahmen von Kampagnen der Offensive gegen die Pelzindustrie eine Reihe großer Unternehmen pelzfrei gemacht werden. Entscheidenden Anteil hatten dafür jedoch die kontinuierlichen, lauten und nervigen Kundgebungen vor den Filialen. In Form von Kampagnen ist die Pelzindustrie gerade aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Größe besonders angreifbar. Auch konkrete anlassbezogene Demonstrationen, zum Beispiel gegen den Neubau eines Tierversuchslabors, sind sinnvoll, und diese bieten sich auch an, um über diese „Tierschutz“-Themen Tierrechtsinhalte zu verbreiten. Bei meiner Kritik geht es mir vornehmlich um die Großdemos in den Innenstädten, bei denen (zumindest heute) nicht mehr nachzuvollziehen ist, warum der Schwerpunkt Pelz gewählt wird. Generell sind zielgerichtete beziehungsweise in Kampagnen erfolgende Proteste ein wichtiges und erfolgreiches Mittel der Tierrechtsbewegung. Diese zielen jedoch oftmals eher darauf ab, ein konkretes Unternehmen unter Druck zu setzen, was bei den Großdemonstrationen in den Innenstädten meistens jedoch nicht der Fall ist.

Alternativen

Eine alternative Form, die meines Erachtens nach überdies auch das typische Großdemo-Konzept ein wenig aufbricht, stellen die Demos nach dem Konzept „Leichen pflastern Ihren Weg“ dar. Eine solche Demo wurde das erste Mal 1995 in Dortmund organisiert. Ziel dabei ist, durch verschiedene Kundgebungen vor Geschäften in der Innenstadt aufzuzeigen, in welchen vielfältigen Formen Tierausbeutung stattfindet. Adaptiert wurde das Konzept dann erneut 2010 bei der 10. Tierbefreiungs-Norddemo in Kiel, bei dem ein Netzwerk, welches zuvor in verschiedenen norddeutschen Städten sogenannte Antispeziesistische Norddemos organisierte (Großdemos, die allerdings oft ebenfalls das Thema Pelz fokussierten), einen anderen Weg einschlug. Die einzelnen Kundgebungen wurden dabei mit einem Demozug durch die Innenstadt verbunden, und die Demo richtete sich explizit gegen alle Formen von Tierausbeutung. Natürlich war Pelz auch ein Teil davon.

Die OrganisatorInnen wollten diese Form explizit als Resultat strategischer Überlegungen und aus einer kritischen Reflexion von bisherigen (Pelzfrei-)Großdemos ausprobieren. Neben einer Kritik an der üblichen Außendarstellung von Tierrechtsgroßdemos (zum Beispiel deren teilweise subkulturellem oder selbstbezogenem Charakter) wurde unter anderem betont, dass die grundsätzliche Ablehnung von jeglicher Tierausbeutung, die ja das eigentliche Charakteristikum der Tierrechtsbewegung darstellt, deutlicher nach außen hin transportiert werden müsse. So schrieben die OrganisatorInnen unter anderem in der Begründung zur Wahl des Demo-Konzeptes8:
„Da viele Großdemonstrationen der Tierbefreiungsbewegung sich zumeist auf Themen fokussieren, die bereits sehr stark vom Tierschutzdiskurs besetzt sind (Pelz, Tierversuche), kann sich die Tierbefreiungsbewegung oftmals in der öffentlichen und medialen Repräsentation nicht als eine Bewegung darstellen, die von den Positionen, Inhalten und theoretischen Konzepten des Tierschutzes in fundamentaler Weise abzugrenzen ist.“
Auch in Berlin9 sowie in Stuttgart10 gab es seitdem Demonstrationen mit ähnlichen Konzepten.

Der Reflexion und Diskussion der angewendeten Aktionsformen der Bewegung sollte meiner Meinung nach generell mehr Raum gegeben werden. Ich möchte den Pelzfrei-Demos organisierenden Gruppen auf jeden Fall ans Herz legen, sich an diesen Diskussionen – gerne auch in der TIERBEFREIUNG – zu beteiligen. Auch wäre es an der Zeit, in den Gruppen intern das Konzept zu diskutieren und sich zu fragen, aus welchem Grund der Pelz-Schwerpunkt gewählt wird, und welche Argumente noch für diese Wahl sprechen. Wäre es nicht an der Zeit, endlich eine Umbenennung und eine Veränderung des Konzeptes vorzunehmen und Demonstrationen „für die Befreiung der Tiere“ zu organisieren?
Die Autorin ist Aktivistin bei Tierbefreiung Hamburg.
Fußnoten:
[1] Vergleiche den Aktionsbericht auf www.tirm.de/node/149.
[2] Vergleiche zum Beispiel www.fr-online.de/frankfurt/
1472798,22196438.html.
[3] Siehe www.de.indymedia.org/2011/09/315181.shtml.
[4] Siehe www.asatue.blogsport.de/images/flyerstgtpelzfrei2010.jpg.
[5] Das Problem ist nicht, dass die Pelzindustrie keine Ethik habe, sie hat vielmehr eine falsche. Auch ist die Ursache der Tierausbeutung meiner Meinung nach nicht unbedingt darin begründet.
[6] Vergleiche www.mingle-trend.respondi.com/de/11_09_2012/drei-von-vier-deutschen-lehnen-das-tragen-von-pelz-ab.
[7] Vergleiche dazu unter anderem die Diskussion um einen Black Block- / Total Liberation-Block auf Tierrechtsdemos: Konrad Eckstein: „Wer hat Angst vorm Schwarzen Block“ in: TIERBEFREIUNG, Heft 72, Seite 64ff; online: www.tierbefreier.de/tierbefreiung/72/schwarzer_block.html.
[8] Siehe www.norddemo.blogsport.de/konzept.
[9] Vergleiche den Bericht dazu in der letzten TIERBEFREIUNG, Heft 78, Seite 68ff.
[10] Siehe www.tirs-online.de/component/content/article/306-2012-06-09.


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