Interview Total Liberation

Total Liberation Interview


 

Stellt euch kurz vor. Seit wann gibt es eure Gruppe und was sind die Schwerpunkte eurer Arbeit?

Seit knapp 10 Jahren setzt sich Tierbefreiung Hamburg für die Befreiung der Tiere aus Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen, in denen sie in unserer Gesellschaft gefangen gehalten werden, ein. Wir zielen mit unserer Arbeit darauf, die institutionalisierte und systematische Gewalt an Tieren zu beenden. Im Unterschied zum traditionellen Tierschutz setzen wir uns nicht für eine Reform der Tierausbeutung, größere Käfige oder derartiges ein, sondern für deren Abschaffung.

Wir beteiligen uns an Kampagnen der Tierbefreiungsbewegung, z.B. im Rahmen der Offensive gegen die Pelzindustrie. Wir haben die Kampagne LPT-Schließen gegen ein Hamburger Tierversuchslabor initiiert und organisieren auch überregionale Proteste gegen unterschiedliche Felder der Tierausbeutung. Ein weiteres Anliegen ist es uns, neue Impulse für die politische Praxis zu geben und das gesellschaftskritische Profil der Tierbefreiungsbewegung zu schärfen, indem wir bspw. auf Kongressen Raum für Reflexion der gegenwärtigen Theorie und Praxis der Bewegung bieten. Nicht zuletzt setzen wir uns gegen Repression ein und unterstützen aktiv Gefangene und von Repression betroffene Aktivist_innen.

Der Begriff ″Total Liberation″ taucht ja in den letzten Jahren immer häufiger auf. Was versteht ihr unter dem Begriff ″Total Liberation″?

Ja es stimmt, man stößt immer öfter auf den Begriff, d.h. es werden Demoaufrufe mit dem Slogan überschrieben, hier und da sieht man mal Banner mit entsprechender Aufschrift. Mehr allerdings nicht. „Total Liberation“ ist weder ein theoretisches Konzept noch eine bestimmte Praxis, mit der Politik gemacht wird. Es ist mehr ein Slogan, mit dessen Verwendung darauf verwiesen wird, dass man sich nicht einseitig für die Befreiung der Tiere einsetzen möchte, sondern sich auch gegen andere Ausbeutungsverhältnisse richtet.

Diese Intention finden wir richtig. Sich bspw. gegen die Ausbeutung von Tieren durch die Fleischindustrie zu richten, aber die Ausbeutung von Menschen in den Schlachtfabriken, die Vertreibungen für den Futtermittelanbau oder die mit der Nahrungsproduktion verbundene Naturzerstörung unberücksichtigt zu lassen, wäre aberwitzig. Das ist den meisten Tierrechtler_innen und Tierbefreier_innen schon klar. Allerdings fehlt es an Bewusstsein, wie man diese Überzeugungen in eine politische Praxis münden lässt, also gemeinsam mit anderen Bewegungen kraftvoll gegen ausbeuterische Verhältnisse vorgehen kann.

Und wir sind der Meinung, Akteure aus anderen Bewegungen werden nicht an unsere Tür klopfen, nur weil wir jetzt „Total Liberation“ schreiben oder sich in unseren Selbstverständnissen auch mal das Wort Kapitalismus finden lässt. Wichtiger ist es, bei Aktionen oder Kampagnen stärker mit anderen Bewegungen zusammen zu arbeiten und die gemachten Erfahrungen zur Weiterentwicklung unserer Konzepte und Strategien zu nutzen.

Auch auf theoretischer bzw. auch wissenschaftlicher Ebene bedarf es Bemühungen, genauer auszuarbeiten, wie denn verschiedene Unterdrückungsverhältnisse und Ausbeutungsformen eigentlich genau zusammenhängen, wie sie sich gegenseitig beeinflussen und stützen, oder welche Parallelen sie aufweisen. Doch auch ihre Unterschiede und Alleinstellungsmerkmale müssen in den Blick genommen werden. Die in Tierrechtskontexten teilweise zitierte Formel „Rassismus = Sexismus = Speziesismus“ erscheint uns in diesem Zusammenhang arg verkürzt und zu undifferenziert. Auch darüber, was man denn eigentlich für ein Konzept von diesen Begriffen jeweils hat und welche sozialen Phänomene darunter zu verstehen sind, gibt es sicherlich keinen Konsens und ist noch einiges an Theoriearbeit zu leisen.

Welche Perspektiven und Potentiale seht ihr im Hinblick auf die Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen emanzipatorischen Gruppen?

Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse, ob von Menschen oder Tieren, sind eng miteinander verbunden. Das haben wir anhand der Fleischindustrie schon angedeutet. Wenn wir die Gewalt gegen Tiere beenden wollen, kommen wir nicht umhin auch die ökonomische Basis der Tierausbeutung in den Blick zu nehmen. Tiere gelten im kapitalistischen Produktionsprozess nicht als einzigartige Individuen, sondern als austauschbare Ressource, Produktionsmittel oder Ware. Die Produktion folgt den Notwendigkeiten fortschreitender Kapitalakkumulation. Wir brauchen niemandem erzählen, dass hiervon nicht nur Tiere sondern auch Menschen betroffen sind. Tatsächlich zielen soziale Kämpfe darauf, zentrale Lebensbereiche der kapitalistischen Verwertung zu entziehen. Ob Energiekämpfe, Solidaritätsbewegungen gegen Landgrabbing im globalen Süden oder Kampagnen gegen die Fleisch- und Agrarkonzerne, für alle wäre es ein Gewinn, wenn wir die organisatorische Vereinzelung überwinden und einen kraftvollen Widerstand aufbauen würden.

Als Tierbefreier_innen stehen wir in Bezug auf die Bündnisarbeit mit der Linken aber erst am Anfang, gerade weil uns Erfahrungen fehlen. Dies war für uns auch ein Grund zur Beteiliung an den Blockupy-Aktionstagen aufzurufen. Das Krisenregime zielt auf die Aufrechterhaltung kapitalistischer Ausbeutung, von der nicht zuletzt die Tiere betroffen sind, es ist für uns nur konsequent zu solchen Anlässen gemeinsam mit anderen Gruppen und Bündnissen auf die Straße zu gehen. Für uns war es auch wichtig, in Austausch mit anderen Aktiven zu treten, schließlich müssen der herrschenden Politik solidarische Perspektiven entgegengesetzt werden. Und wir haben „unsere“ Erfahrungen, die auch für andere interessant sein könnten: Wir verstehen durchaus etwas davon, Konzerne oder Industrie ökonomisch unter Druck zu setzen – man denke nur an die äußerst schlagkräftigen Kampagnen gegen die Pelzindustrie oder Großkonzerne wie Hundington Life Scienes (HLS).

Selbstverständlich wollen wir uns nicht auf Großevents beschränken. Gerade beim Thema Fleischindustrie sehen wir viel Potential für eine Zusammenarbeit mit anderen linken Bewegungen. Es gibt Bürgerinitiativen vor Ort, mit denen Kampagnenbündnisse wie Mastanlagen Widerstand oder Tierfabriken Widerstand recht eng zusammenarbeiten. Aber es gibt noch einige andere Akteure, die sich mit dem Thema beschäftigen, etwa die Initiativen, die zum Klimawandel arbeiten oder Organisationen, die gegen Landgrabbing kämpfen. Und wir sollten natürlich nicht die ArbeiterInnen in den Schlachtfabriken, die aufgrund ihrer Lage oftmals gnadenlos ausgebeutet werden, aus dem Blick verlieren.

Welche Herausforderungen und Probleme seht ihr im Kontakt und in der Zusammenarbeit mit anderen, nicht veganen, Gruppen, aus dem emanzipatorischen Spektrum? Mit welchen Vorbehalten werdet ihr konfrontiert und wie geht ihr damit um?

Klar gibt es oft Berührungsängste, z.B. in punkto gemeinsame Positionen finden. Es gibt aber auch Gruppen, die Bock haben mit Tierbefreier_innen zusammenzuarbeiten und andere Perspektiven als Bereicherung erfahren. Und dann gibt es immer auch Leute, die sich Diffamierungen, die insbesondere im antideutschen Spektrum verbreitet sind, zu eigen machen.

Was aber auffällt ist, dass trotz Klimadebatten, Biohype und der öffentlich geführten Diskussion um die Produktion von (tierlichen) Lebensmitteln nur wenige emanzipatorische Gruppen daran arbeiten, linke Positionen zu diesem Themenbereich zu erarbeiten. Obwohl es offensichtlich ist, dass die Politik der Agrarkonzerne globale Abhängigkeiten verschärft oder aber die kapitalistische Lebensmittelproduktion erheblichen Anteil an der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen hat, werden die Themen Nahrungsmittelproduktion, Fleischindustrie und Agrarwirtschaft eher stiefmütterlich von den allermeisten linken Gruppen behandelt. Das macht eine Zusammenarbeit nicht gerade leichter.

Was kann man aus eurer Sicht tun, um die Tierbefreiungsbewegung für Aktive aus dem emanzipatorischen Spektrum attraktiv zu machen, für die Tierbefreiung aktuell – noch – kein Thema ist?

Tja, wir streiten, ob wir unsere Message eher über coole Umhängetaschen und Elektropunk verbreiten sollten oder doch lieber etwas mehr Action auf unseren Demos versprechen sollten, damit die erlebnisorientierten Grüppchen zu unseren Demos kommen… Nein im Ernst, große Teile der Linken sind in ihrer Subkultur versunken, wir werden hier unsere Fähnchen nicht nach dem Wind richten.

Wenn wir von Initiativen ernst genommen werden wollen, die linke Politik nicht nur zum Zeitvertreib machen, dann muss sich die Tierbefreiungsbewegung dennoch weiterentwickeln. Wir müssen uns aktiver in linke Debatten einbringen, und die „Tier-Frage“ auf die Agenda setzen, auch wenn das bisweilen nervenaufreibend ist. Hierbei ist natürlich hilfreich, darauf hinzuweisen, in wie weit das Thema Tierausbeutung mit anderen klassischen linken Themenbereichen in Verbindung steht. Doch wir müssen natürlich auch ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Tiere als Opfer von systematischer Gewalt anerkannt und um ihrer selbst Willen befreit werden müssen.

Ein weiterer Aspekt ist die Schärfung des linken Profils der Tierrechtsbewegung. Tierschützer_innen, Veganer_innen und Tierbefreier_innen werden nicht nur in der Presse in einen Topf geworfen. Das Problem ist aber zum Teil hausgemacht. Für Außenstehende ist eben nicht immer ersichtlich, für welche politischen Positionen die Tierrechtsbewegung steht. Z.B. setzen wir uns nicht aus irgendwelchen Bodyfitness-Gesundheits-Selbstoptimierungsgründen für Veganismus ein, sondern aus Solidarität mit den erniedrigten Tieren und das sollte man auch so sagen. Und unser Anspruch kann nicht “Hauptsache für die Tiere” sein, sexistische Plakatkampagnen können uns genauso gestohlen bleiben, wie Tierschutzgruppen, die in rechtsoffenen Äußerungen ihrer Unterstützer_innen kein Problem sehen. Es ist aber auch niemanden geholfen, wenn man sich immer nur abgrenzt. Wir müssen vor allem durch die Wahl unser Aktionsformen, durch die Art der Vermittlung von Inhalten, durch entsprechende Konzeptionen von Kampagnen und durch das Engagement in anderen progressiven sozialen Bewegungen praktisch zeigen, wie eine linke Tierbefreiungspolitik konkret aussehen kann.